Der ukrainische Migrant Zhenia (Alec Utgoff) verdingt sich in einer Siedlung vor den Toren Warschaus als Masseur. Seine Klienten sind ausschließlich wohlhabende Menschen, die trotz materiellem und finanziellem Reichtum ein leeres Leben in der umzäunten Siedlung führen, die sie von den „normalen Menschen“ abschotten soll. Zhenia erscheint vielen als geradezu messianischer Heilsbringer „von außen“, dessen geheimnisvolle Aura auf sie so anziehend wirkt wie seine magischen Hände Wunder wirken – besonders angetan sind davon die (vereinsamten) Frauen, die in diesem abgeschlossenen Mikrokosmus ein oft trauriges Dasein fristen. Zhenia nimmt sich all ihrer Probleme an, ist für sie da, spendet ihnen Trost, Nähe und Gesellschaft, ohne eine Gegenleistung zu erwarten. Doch das Rätsel um den geheimnisvollen Fremden vermag doch niemand zu entschlüsseln. Das polnische Drama „Der Masseur“ (eng. Titel: „Never gonna snow again“), der 2020 im Wettbewerb von Venedig lief, ist seit letzer Woche in den deutschen Kinos zu sehen.

von Christian Klosz

Das Werk des Regieduos Malgorzata Szumowska/Michal Englert ist ein magischer Film, ein modernes Märchen, das nicht auf einen klar nachvollziehbaren Plot setzt, sondern von seiner Traumhaftigkeit, seiner Mystik und Uneindeutigkeit lebt. Nicht nur einmal wissen wir als Zuschauer nicht, ob bestimmte Szenen nun tatsächlich stattfinden oder nur der Fantasie der Protagonisten entspringen oder eine Reise in die Welt des Unbewussten symbolisieren sollen. Das ist aber auch gar nicht wichtig, denn „Der Masseur“ versteht sich selbst in erster Linie als Fabel und Parabel, die über die Sinne wirken soll.

Auch „Messias“ Zhenia wirkt auf genau dieser Ebene auf seine „Patienten“ ein, deren materiell reiche Leben spirituell arm sind und die sich nach irgendetwas sehnen, das ihre innere Leere aufzufüllen vermag. Sie sind auf der Suche nach tiefen Empfindungen, wahren Gefühlen, echten Erkenntnissen – all das bietet ihnen der enigmatische Masseur aus dem Osten in seinen Sitzungen, in denen Massagekunst auf tiefe Empathie und Hypnose treffen. Alec Utgoff verkörpert den mysteriösen Fremden gekonnt, bis zum Ende umweht ihn die Aura des Geheimnisvollen, das weder Zuschauer, noch die anderen Protagonisten zu entschlüsseln vermögen. Auch die Nebenfiguren werden allesamt sehr authentisch dargestellt. Zu weiteren Vorzügen von „Der Masseur“ zählt auf technischer/stilistischer Ebene auf jeden Fall die hohe Kunstfertigkeit, die die beiden Regisseur/innen an den Tag legen. Der Film lebt von seinen schönen, kunstvoll gestalteten Bildern, denen eine gewisse Poesie innewohnt.

Problematisch ist, dass der Film beizeiten etwas zu generisch, das heißt in diesem Fall: Festival-Film-typisch wirkt. Für ein „normales“ Kinopublikum mag „Der Masseur“ schwer zugänglich, vage, dubios, surreal und sperrig wirken. Wenngleich die erzählerische Offenheit einerseits eine Stärke ist, wirkt er teilweise etwas ziellos, lebt zwar von seinen schönen Einstellungen, bleibt aber – wie Protagonist Zhenia – schließlich schwer fassbar. Zumindest bietet die zum Ende eingeblendete Information eine teilweise Erklärung, worum es dem Film auf symbolischer Ebene eigentlich ging, ein letzter Twist, der zum Nachdenken anregt.

Fazit:

Technisch versiert gemacht, magisch, atmosphärisch, sinnlich, aber auch sperrig und schwer zugänglich: Der polnische Film handelt von spiritueller Leere und Einsamkeit, Sehnsucht und dem Bedürfnis einer Gesellschaft und seiner Individuen nach Heilung. Wenngleich im polnischen Warschau verortet, hat „Der Masseur“ universale Gültigkeit und spricht als modernes Märchen zeitgemäße wie zeitlose Themen an.

Bewertung:

Bewertung: 7 von 10.

(67/100)

Bilder: © Real Fiction